Über Medien und Ökologie

von | Nov. 2, 2025

Smartphones tracken unsere Körper, Computer errechnen Klimaprognosen, in Unternehmen entstehen digitale Ökosysteme, KI-Rechenzentren und Smartphones fressen Strom, Wasser und seltene Erden. Hennig Schmidgen, Professor für Wissenschaftsgeschichte und Medientheorie, erklärt wie sich die ebenso konkrete wie exotische Beziehung von Medien und Ökologie durchdenken lässt.

Medienökologie ist ein kleines, besonderes Forschungsfeld innerhalb der Medienwissenschaften. Wie wird das Verhältnis von Medien und Ökologie dabei erforscht?

Medialität und Ökologie zusammen zu denken, hat eine lange Tradition. Ein wichtiger Bezugspunkt ist Neil Postman, bekannt durch seinen medienkritischen Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“. Er hatte in den 80er Jahren an der New York University eine Professur für „Media Ecology“ und hat sehr früh damit begonnen, die Umweltlichkeit von Medien zu beschreiben. Sein kritischer und stark normativer Blick richtete sich dabei auf das Fernsehen, das er nicht als technischen Apparat oder Massenmedium verstanden hat, sondern auf die Räume und Umgebungen eingegangen ist, die um das Fernsehen herum entstehen.

Ein anderer wichtiger Autor ist Matthew Fuller, der in den 90er und 2000er Jahren in ähnlicher Weise angefangen hat, sich mit den technischen Umwelten zu beschäftigen, die Medien etablieren. Er argumentiert dabei weniger normativ als Postman und konzentrierte sich sehr technisch auf die Produktionsbedingungen beispielsweise mit Blick auf freie Radiosender.

Dass technische Medien eigene Umwelten ausbilden, ist eine interessante und sehr experimentelle Übertragung des Umweltbegriffs. Was ist mit der Ökologie als Teil der Biologie?

Das ist richtig. Begriffe zu übertragen und neu zu verwenden, generiert neue Beschreibungsmöglichkeiten, beispielsweise für unsere „smarten“ digitalen Lebenswelten. Dabei ist es immer wichtig, diesen Einsatz von Begriffen zu hinterfragen und sie nicht zu modischen, unreflektierten Begriffen werden zu lassen. Im IT-Bereich ist heute allerorten von „Ökosystemen“ die Rede, um die Ubiquität und Vernetztheit digitaler Infrastrukturen zu beschreiben. Was der Begriff eigentlich bedeutet und was er beschreiben kann, bleibt dabei weitestgehend unreflektiert.

In Weimar entwickeln wir einen Masterstudiengang im Forschungsfeld Medienökologie und wollen uns neben den technischen Umwelten, die Medien ausbilden, auch mit der Begriffs- und Wahrnehmungsgeschichte der Ökologie als Wissenschaft beschäftigen. Dabei geht es darum, mit welchen technischen Medien die Ökologie ihr Wissen gewinnt, aber beispielsweise auch darum, wie stark Medien unser Verständnis der Natur prägen.

Die NASA-Fotos vom blauen Planeten haben nachweislich dazu beigetragen, ökologisches Bewusstsein zu fördern. Auch die Modellierung von Klimaentwicklungen ist ohne Computer undenkbar – ein technisch medialer Sachverhalt mitten in der Klimaforschung. Der Club of Rome hat ganz stark mit Modellen gearbeitet, um seine Prognosen über die „Grenzen des Wachstums“ zu erarbeiten.

Über Henning Schmidgen

Prof. Dr. Henning Schmidgen ist ausgebildeter Psychologe, Wissenschaftshistoriker und Medientheoretiker. Seit 2014 ist er Professor für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medientheorie, Historische Epistemologie, Wissenschaftsgeschichte, Technikphilosophie und Maschinenkunst. Neben seinen umfangreichen wissenschaftlichen Publikationen hat er Aufsätze und Materialien zu Félix Guattari herausgegeben und übersetzt.

Die Medienwissenschaft arbeitet also mit einem sehr breiten Verständnis von „Medien“. Wie hängen der Medienbegriff und der Ökologiebegriff historisch miteinander zusammen?

 Natürlich denken die meisten von uns bei „Medien“ immer noch an „Massenmedien“ wie Radio, Internet, Fernsehen und die Presse. Der Medienbegriff hat aber eine lange und vielschichtige Entwicklung durchlaufen. Zunächst einmal sind Medien etwas Vermittelndes oder Dazwischenstehendes. Im späten 18. Jahrhundert wurden als Medien der Äther oder Fluida verstanden, die als Trägermedien Signale transportieren, also das Licht, das Wasser oder die Luft, die Signale zu uns tragen. Interessant ist, dass es schon hier mit diesen Elementen um natürliche Umwelten geht.

Historisch lässt sich dann gut nachvollziehen, wie der Begriff aus der Physik in die Biologie gewandert ist. Bei Biologen wie Cuvier und vor allem bei Lamarck im 19. Jahrhundert wurde daraus ein Umweltbegriff, bei dem die Umwelt Nahrung – Licht, Wasser – bereitstellt, um Organismen ihr Überleben zu sichern. Der Begriff „Ökologie“ wurde in den 1860er Jahren von Ernst Haeckel geprägt und bezog sich bei ihm auf das Zusammenleben unterschiedlicher Tierspezies in einer bestimmten abgegrenzten Gegend – das, was wir heute als Ökosystem bezeichnen würden.

Faszinierend ist, dass Alexander von Humboldt – neben Haeckel vielleicht der Begründer der Ökologie – einer der ersten war, der dieses vernetzte Verständnis von Natur erprobte. Er interessierte sich nicht nur für das, was er als Netzwerke der Natur bezeichnete, sondern auch für die technischen Medien, mit denen sich dieses Wissen visualisieren ließ – farbige Illustrationen und Dioramen.

Félix Guattari ist mit seinem Buch „Die Drei Ökologien“ einer der wichtigen Vordenker, mit dem du dich beschäftigt hast. Kannst du die drei Ebenen seiner „Ökosophie“ kurz skizzieren?

Das stimmt, ich halte die Arbeiten von Félix Guattari für einen wichtigen und sehr aufschlussreichen Denker für viele Fragen, die uns heute betreffen. In den Medien- und Kulturwissenschaften ist er als Ko-Autor und Freund von Gilles Deleuze bekannt. Ihn als eigenständigen Denker wahrzunehmen, ist eher eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

Guattari war Psychoanalytiker, Aktivist und Philosoph und hat zum Ende seiner Laufbahn – 1989, er war da um die 60 Jahre und starb wenig später, vollkommend überraschend – das Buch „Die drei Ökologien“ geschrieben. Darin stellt er eine These auf, die für uns heute enorm relevant ist. Sie lautet kurzgefasst: Wenn wir uns wirklich dem Klimaproblem und der Umweltverschmutzung stellen wollen, reicht eine Ökologie, die sich um die Frage der Natur dreht, nicht aus. Wir brauchen mindestens zwei weitere Ökologien, die unsere Formen des Zusammenlebens und unsere psychische und mentale Konstitution betreffen.

Erstens ist da die Umweltökologie. Die Probleme, die Guattari hier nennt, sind Fragestellungen der 80er Jahre: vor allem Umweltverschmutzung, zum Teil schon Erderwärmung, aber auch das Ozonloch. Das Interessante ist, dass dies von vornherein im Verbund mit vielen anderen Fragen gedacht wird. Guattari war Mitte der 80er in der damals erst in Frankreich entstehenden Partei der Grünen engagiert und hatte beispielsweise Kontakt und Austausch mit Daniel Cohn-Bendit. Man sollte diese explizit grüne Ausrichtung aus meiner Sicht aber nicht überbewerten. An den „Drei Ökologien“ ist vielmehr das Zusammendenken von Ökologischem, Sozialem und Psychischem interessant.

Zweitens geht es Guattari um eine soziale Ökologie, um eine Ökologie des Gesellschaftlichen. Guattari versteht darunter einerseits die alltägliche Qualität des Zusammenlebens. Seine Kritik daran ist, wie auch bei Deleuze, ganz klar von einer marxistischen Gesellschaftskritik geprägt. Es geht dabei immer um die Frage, wie wir uns die Natur und ihre Ressourcen durch Arbeit aneignen. Bei zeitgenössischen Autoren wie Kohei Saito steht diese ökologische Lesart des Marxismus wieder im Vordergrund. Das erscheint mir sehr interessant und relevant für heutige Fragestellungen.

Die dritte Ebene betrifft die mentale oder geistige Ökologie. Als Psychoanalytiker, der sein Leben lang in der psychiatrischen Klinik von La Borde arbeitete, fordert Guattari eine Ökologie des Subjekts. Damit meint er die Fähigkeit von Subjekten, der Herausforderung der Andersartigkeit des Anderen zu begegnen, der anders tickt und funktioniert, der eine andere Meinung hat. Guattari war überzeugt, dass es darum geht, diese Andersheit auf allen Ebenen zu kultivieren, damit Subjektivität nicht eindimensional bleibt, sondern sich weiterentwickeln kann. Ihm geht es um Singularität als die unreduzierbare Einzigartigkeit des Individuums.

Das heißt, für Guattari wäre die Klimakrise keine allein ökologische Krise, sondern eng verbunden mit kapitalistischer Ausbeutung natürlicher Ressourcen und einer Verarmung sozialer Beziehungen, einer Erosion politischer Institutionen und den damit verbundenen psychischen Problemen des Einzelnen. Wenn wir Antworten oder Lösungen suchen, müssen wir aus seiner Sicht die verschiedenen Ebenen der drei Ökologien in den Blick nehmen.

Dieser von Henning Schmidgen herausgegebene Sammelband skizziert anhand von fünf Gesprächen den Lebensweg des Psychaters, Aktivisten und Philosophen Félix Guattari (1930-1992). Ein guter Zugang zum Denken des Autors von „Die Ökologien“, in dem Guattari die drei Ebenen seiner „Ökosophie“ auffächert.

Der Band ist 2019 im Merve Verlag erschienen.

Theoretische Reflexion ist wichtig, aber was kann medienökologisches Denken angesichts der gegenwärtigen politischen Fragen der Klimakrise leisten?

Ein wichtiges Argument der Medienwissenschaft war und ist es, die materielle und technische Dimension von Medien in den Blick zu nehmen und sie als eine der Grundlagen für die Wirkung von Medien zu betrachten. Dabei ist die Medienwissenschaft aber nicht weit genug gegangen, denn sie hat zwar den Konnex von Technik und Kultur bearbeitet, aber noch nicht tief genug nach den Ressourcen gefragt, aus denen unsere digitale Kultur besteht.

Der finnische Medienwissenschaftler Jussi Parikka hat das mit seinem Buch „A Geology of Media“ nachgeholt und die Formen und Grundlagen unserer digitalen Welt durchdekliniert – von den Machtformationen aus Smartphones und sozialen Medien bis zur Geopolitik seltener Erden. Jennifer Gabrys hat ähnlich kritisch und mit akribischer Empirie über „Digital Rubbish“ geschrieben, den Elektroschrott, den unsere nur vorgeblich so körperlos wirkende digitale Welt auf zahlreichen Halden im globalen Süden hinterlässt. Beide Bücher sind klug, kritisch, exzellent geschrieben und eignen sich gut für alle, die sich mit dem Thema Medienökologie beschäftigen möchten.

Zum Weiterlesen:

Jussi Parikka, A Geology of Media, University of Minnesota Press, Minneapolis, 2015

Jennifer Gabrys, Digital Rubbish: A Natural History of Electronics, University of Michigan Press, Ann Arbor, 2011

Matthew Fuller, Media Ecologies: Materialist Energies in Art and Technoculture, MIT Press, Cambridge, MA, 2005

Florian Sprenger, Epistemologien des Umgebens: Zur Geschichte, Ökologie und Biopolitik künstlicher environments, transcript Verlag, Bielefeld, 2019

Florian Sprenger / Petra Löffler (Hrsg.), Medienökologien, Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 (2/2017), diaphanes, Zürich/Berlin, 2017

 

Beitragsbild oben:

Ernst Haeckel – Kunstformen der Natur (1904), plate 85: Ascidiacea

(Gemeinfrei, Wikimedie commons)

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